ENERGIE. REGIONAL. SICHER.
Flächenkraftwerk
Flächenkraftwerk – Was ist das?
Im Gegensatz zu klassischen, konventionellen Großkraftwerken beruht die Funktionsweise eines Flächenkraftwerkes auf der intelligenten Vernetzung von unterschiedlichen dezentralen Energieanlagen zu einem regionalen, steuerbaren und physikalischen Verbund.
Ein solcher Verbund besteht aus einer Vielzahl dezentraler Erneuerbaren Energie-Anlagen (EE), Energiespeichern und auch industriell / gewerblichen Verbrauchern beziehungsweise Prosumern (eingedeutscht Prosumenten).
Hierbei kann man sich zu Nutze machen, dass weit über 90% der kleinen und mittleren Kraftwerke auf Basis Erneuerbarer Energien auf der sogenannten Stromverteilnetz-Ebene angeschlossen sind. Diese Netzebene umfasst die Hoch-, Mittel und Niederspannungsnetze, die im Wesentlichen die Verteilung von Strom in der Fläche als Aufgabe haben. Orts- und Stadtnetze sind dabei besonders im Fokus, da dort auch die vielen Erzeugungsanlagen im Privatbereich liegen, beispielsweise die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Einfamilienhauses. Auch die aufkommende Elektro-Mobilität mit dem enormen Bedarf an Ladepunkten und verfügbarer elektrischer Leistung stellt diese Netzebenen vor große Herausforderungen. Im Gegensatz hierzu haben die Übertragungsnetze auf der Höchstspannungsebene die Aufgabe, die Erzeugungsleistung von großen Kraftwerken oder Offshore-Windparks aufzunehmen und größere Distanzen von Punkt zu Punkt zu überbrücken.
Dezentralität und Flächenkraftwerke
Was versteht man unter Dezentralität in der Energieversorgung? Was sind Flächenkraftwerke und welche Rolle spielen sie? Welche Arten von Anlagen vereint ein Flächenkraftwerk? Im Zuge der Energiewende sind diese Fragen aktueller als je zuvor.
In diesem Podcast ordnet Jonas Botz die Begriffe in den aktuellen Kontext ein.
Dezentralität und Flächenkraftwerke
Mit dem rasant wachsenden Anteil von Klein- und Kleinstanlagen, die ihren Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen, kommt dem Erhalt der Netz- und Systemstabilität auf Ebene der Verteilnetze aktuell und zukünftig eine sehr hohe Bedeutung zu. Damit wird eine gesteuerte dezentrale Energieversorgung im Sinne der Klimaschutzanstrengungen bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit immer wichtiger.
Quelle: AGEE-Stat / Umweltbundesamt
Bis 2030 soll die Einspeiseleistung aus EE-Anlagen insgesamt auf über 160 Gigawatt (GW) ansteigen. Ein weiterer Faktor ist der fortschreitende Ausstieg aus den konventionellen Energieträgern, wie beispielsweise in Deutschland der Primärenergien Kernkraft im Jahr 2022 oder der Braun- und Steinkohle sukzessive bis spätestens 2038. So ist nicht nur die Erzeugung des Stroms einem Wandel unterworfen, sondern auch die systemische Verteilung der Energie muss sich durch die Energiewende grundlegend ändern.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung sind regionale, system- und netzdienliche Flächenkraftwerke. Diese zeichnen sich durch die Realisierung von 24/7/365 -Verfügbarkeit gesicherter elektrischer Leistung aus. Durch die intelligente Verknüpfung von netz- und systemdienlichen Anlagen entsteht ein dezentrales, inhärent sicheres und regionales Energieversorgungssystem.
Flächenkraftwerke produzieren zwar selbst keinen Strom mit eigenen Anlagen, aber sie koordinieren Einspeisung und Verbrauch in regionalen Netzabschnitten. Dazu werden unterschiedliche Energieerzeuger und Energieverbraucher sowie vorhandene Speicherkapazitäten datenbasiert zu einem Verbundsystem vernetzt. Das dadurch entstehende Netzwerk vereinigt Anlagen unterschiedlichen Typs wie z.B. Wasserkraftwerke, Windparks, Photovoltaikanlagen, Biogasanlagen oder Blockheizkraftwerke. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob es sich bei der eingebundenen Anlage um einen ganzen Windpark oder um eine kleine, private Photovoltaikanlage handelt. Entscheidend ist das präzise Zusammenspiel der einzelnen Komponenten durch eine zentrale verteilnetzübergreifende Steuerung mit Ist- und Prognosedaten (State Estimation). So entsteht aus vielen einzelnen Energieanlagen ein „physikalisch“ wirksames Flächenkraftwerk.
Eine andere Ausprägung sind sogenannte „Virtuelle Kraftwerke“, die im Wesentlichen die Vermarktung des Stroms sowie die Bereitstellung von Systemdienstleistungen über die Koppelpunkte der Übertragungsnetze realisieren.
Das Flächenkraftwerk ermöglicht es, die regionale, lokale Steuerung von sogenannten Residuallasten, d. h. mögliche Schwankungen in der dargebotsabhängigen (fluktuierenden) Stromproduktion bei heute überwiegend stochastischen Lasten, auszugleichen, noch bevor sie das öffentliche Stromnetz aus der Balance bringen.
Flächenkraftwerke leisten so einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der regionalen Energie- und Versorgungssicherheit beim Umbau der Stromnetze auf überwiegend erneuerbare Energienträger.
In Zukunft wird den Energiespeichern eine immer bedeutendere Rolle beim Ausbalancieren der Schwankungen im Verteilnetz zufallen. Um genügend Reserveleistung mit unterschiedlichen Regelleistungsarten – also Leistung zum Ausgleich von zum Teil sehr kurzen Schwankungen – innerhalb des Verbundes bereitzustellen, können Flächenkraftwerke auf die dezentralen Speicherkapazitäten im Netzgebiet zurückgreifen. So können beispielsweise auch private Betreiber von Photovoltaikanlagen nicht nur ihre Module, sondern auch ihre Batteriespeicher in einem solchen Flächenkraftwerk einbringen. Dadurch können dann auch ultra-kurzfristige System-Schwankungen, die sich in der kritischen Versorgungsqualität widerspiegeln, ausgeglichen werden.
Ein Beispiel:
An einem windigen Tag steht viel Leistung der eingebundenen Windkraftanlagen zur Verfügung, möglicherweise so viel, dass das Netz die Mengen nicht aufnehmen (Netzengpass) und weiter verteilen kann. Damit die CO2-freie Energieerzeugung aus dem Windpark nicht abgeriegelt, also nicht genutzt werden kann, kann die Koordination mit einem flexiblen Stromverbraucher, wie eine Produktionsanlage in der Industrie, über ein Signal zur Energieaufnahme die klimaschädliche Abschaltung verhindern.
Typisierung und Nutzen von Flächenkraftwerken:
Flächenkraftwerke bestehen idealerweise aus mehreren Netzgebieten (Konzessionsgebieten), die auch von mehreren Netzbetreibern eigenständig bewirtschaftet werden. Hierüber können bis zur Höchstspannungsebene erhebliche Energiemengen regional kollektiert und optimiert genutzt oder die Koordination mit dem vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber sichergestellt werden (z. B. Kaskade, Ausgleichsenergie).
Daher ist eine datentechnische Integration über die drei Spanungsebenen Hoch-, Mittel und Niederspannung erforderlich, eine weitestgehende physikalische Netzkopplung über die Hochspannungsebene (gemeinsame Netzgruppe) vorteilhaft. Die involvierten Verteilnetzbetreiber können über eine neue Systemeinheit das Flächenkraftwerk netzdienlich betreiben, ohne dabei ihre eigentlichen Netzführungsaufgaben als Netzbetreiber nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) aufzugeben.
Eine wesentliche Voraussetzung für die georeferenzierte Planung und den Betrieb von Flächenkraftwerken ist die vollständige Digitalisierung der Stromnetze, was in der Praxis einen hohen Grundaufwand bedeutet. Bei der Digitalisierung werden i. W. alle relevanten Daten aus dem GIS-System, dem Anlagenbestand und den Energiedaten in eine neue Datenplattform eingebracht, um dann das regionale Versorgungssystem mit einer KI-basierten Software sehr schnell und hochqualitativ planen und betreiben zu können.
Flächenkraftwerke haben keine eigenen Assets, also Energieanlagen im Eigentum, in der Regel auch nicht im Besitz beziehungsweise in der Betriebsführung. Allerdings „bedient“ sich das Flächenkraftwerk den systemischen Eigenschaften der einzelnen Anlagen, in dem das eigene ControlCenter (eine Art Leitwarte) auf diese Assets zugreift und dort Leistungen und Energie für die Bereitstellung von netz- und marktlichen Systemdienstleistungen im Wettbewerb einkauft und abrechnet. Diese Systemdienstleistungen werden Netzbetreibern oder Anlagenbetreibern sowie energierelevanten Unternehmen (z.B. Produktionsstandorten) zur Verfügung gestellt. Die Anlagenbetreiber erhalten zunehmend eine Incentivierung für diese Vorhaltung, zum Beispiel über Flexibilisierungskonzepte wie Peak-Shaving (Lastspitzenmanagement) für Industrieunternehmen oder Blindleistung für das Spannungsmanagement in den Netzen. Zudem müssen zukünftig verschiedene Verordnungen (z.B. EU Grid Codes bzw. EU electricity network codes) und nationale Technische Anwendungsregeln (TAR) von den Netzbetreibern umgesetzt werden, die die Funktionen eines Flächenkraftwerks nutzen. EU Grid Codes legen auf europäischer Ebene die Regeln für den Netzbetrieb und für Erzeugungsanlagen fest.
Flächenkraftwerke sind auch ein regional-politisches Instrument, da auf Basis der Grundfunktionen des Flächenkraftwerkes wie netz- und systemdienliche Eigenschaften, zahlreiche Anwendungen und strukturwirksame Wirtschaftsanreize gesetzt werden können. Es entstehen einzelne Marktklösungen, so z. B. im Bereich der „Flexibilisierung“ (sogenannte Flex-Plattformen) oder „Regionale Energie- und Leistungsmärkte“, die die Erbringung von Systemdienstleistungen in einem wettbewerblichen Umfeld kostenoptimiert unterstützen. So sind Planung oder Betrieb von energetisch optimierten Quartierslösungen oder der Ausbau der E-Mobilität sowie Wasserstoffzentren schneller und sicherer umzusetzen. Ein gut entwickeltes Flächenkraftwerk schafft die Grundvoraussetzung für diverse Anwendungen in der Energiesektorenkopplung und Anlagenkopplung, wie die Kombination Strom mit Wärme und Kälte oder Strom mit Mobilität. Nicht zuletzt entstehen in der Region durch den Aufbau und den Betrieb eines Flächenkraftwerkes zahlreiche sozialversicherungspflichtige, hochwertige Arbeitsplätze über alle Wertschöpfungsebenen. Die Betreiber von EE-Anlagen, Speichersystemen oder gewerblichen Unternehmen finden Anreize, aktiv im Energiesystemmarkt tätig zu werden. Je nach Zuschnitt der Region, sind Innovationsprojekte für Produktentwicklungen in Zusammenarbeit mit Hochschulen sehr wahrscheinlich.
Flächenkraftwerke bedeuten neue Businessmodelle und sind ein großer Meilenstein in eine CO2- freie Welt – verbunden mit einem inhärent sicheren regionalen Energiesystem.
Zusammenfassung
Regionale Flächenkraftwerke...
- können große Leistungen aus dezentralen Erzeugungsanlagen und Prosumern einbinden,
- sind daher energiesystemrelevant,
- sind netzgebietsübergreifend und schaffen damit regionale Synergien,
- stellen Risikovorsorge (Verfügbarkeit der kritischen Infrastruktur Stromnetz),
- können aktive Strominseln mit hohem Wirkleistungspotenzial bilden,
- stellen Tools zur dynamischen Anschlussbewertung von EE-Anlagen, Speichern, Verbrauchern,
- erbringen dynamische Simulationen über georeferenzierte Rechenmodelle,
- vermeiden unnötigen Netzausbau durch intelligente Netzausbauszenarien,
- entwickeln neue Geschäftsmodelle und Unternehmen,
- schaffen neue, hochwertige Arbeitsplätze und Qualifikationspotenziale und
- schonen die Umwelt und wertvolle Ressourcen.
Test eines netzdienlichen Flächenkraftwerks:
Das von der Europäischen Union und dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen über den Leitmarktwettbewerb „VirtuelleKraftwerke.NRW“ geförderte sowie mittlerweile von der KlimaExpo.NRW im Bereich Klimaschutz ausgezeichnete Verbundprojekt „QUIRINUS | Regionales Virtuelles Flächenkraftwerk“ hat eine Projektkulisse mit einem Versorgungsgebiet von rund 450 km2 Fläche mit 1,4 Mio. Einwohnern und rund 18.000 EE-Anlagen mit einer Leistung von insgesamt rund 1.000 Megawatt.
Zudem liegen etwa dreitausend energierelevante Unternehmen mit einem erheblichen Flexibilisierungspotenzial in den insgesamt von drei Netzbetreibern geführten Stromnetzen.
Kern des in 2017 gestarteten Technologieprojekts „QUIRINUS“ ist der prototypische Aufbau und szenarioorientierte Test eines Control Centers im Ortsteil Heppendorf (Stadt Elsdorf, Rhein-Erft-Kreis) für den systemrelevanten verteilnetzdienlichen Betrieb regionaler Flächenkraftwerke.
Weblinks/ Einzelnachweise:
https://www.rheinisches-revier.de/medi/irr_studie_verteilnetze_version1.2._150616.pdf
Seiten 28 und 43
https://www.springerprofessional.de/verteilnetze-auf-dem-weg-zum-flaechenkraftwerk/10938886
https://www.quirinus-projekt.de